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Erzählungen
SPIEL MIT SCHWESTER
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schreiben fängt erst dann an, wenn das Denken im ständigen Zirkulieren
soviel Schwung bekommen hat, dass es nach Verbindungen zwischen der endlosen
Zahl konzentrischer Kreise sucht. Dann fängt das Schreiben an. Geht
weiter. Sucht. Findet. Urschlamm aufgeheizt. Wenigstens Teile davon ändern
ihren Aggregatzustand. Die Frage ist nur für wie lange. Schnitt oder Fluss.
Zoom oder Weitwinkel. Für Logikliebhaber oder Romantiker. Schimpfende
oder Selige. Unzufriedenheit ist das stärkste erhältliche Gift. Wirkt besonders
in kleinen Dosen. Wir haben keinen Büchsenöffner im Haus. Nur ein
Schweizer Taschenmesser. Daran ist auch ein Teil als Schraubenzieher zu benutzen
und, unter Einsatz der Hebeikraft, auch als Buchsenöffner. Dauert
aber etwas. Bis die ganze Runde aufgehebelt ist. Thunfisch mit Erbsen. Noch
nicht zu sehen. Aber zu riechen. Meine kleine Schwester hörte ich, bevor ich
sie sah. Ich kam von der Schule. Es war an einem Samstag. Ich weinte, weil sie
noch zu klein war, um in eine Strampelhose zu passen. Aber alle Babys, die
ich zuvor gesehen hatte, trugen Strampelhosen. Noch nie hatte ich so ein
gewickeltes gesehen. ich weiß heute nicht mehr, wieso mich das so aufregte.
Sie war schwierig zu halten. Sie war zu leicht, hatte man mir gesagt. Ich stellte
sie mir als Nahrungsmittel vor. Drei kastenförmige Brote. Zwei Zucker-
päckchen. So groß wie meine Puppe Sabine. Die ich mehr liebte als meine
größte Puppe, viel mehr. Die Hoffnung war, dass meine Schwester auch mal
was sagen würde. Aber es dauerte sehr lange, bis ich ihr die Farben beigebracht
hatte. Ich benutzte dazu unsere Platzgedecke. Es ging erst mal nur
um die Grundfarben. Rot. Grün, Blau. Gelb. Rot und Blau waren meine
Lieblingsfarben. Ich konnte mich nie für die eine oder die andere entscheiden.
Der Versuch allein bedeutete stets eine verzehrende Qual sich jagender
Argumente, Adjektive, Komparative. Genau wie die teuflische Frage, wen ich
mehr liebe: meinen Vater oder meine Mutter. Ich verglich ihre Haut. Den
Hautton und die Hautstruktur. Mein Vater schnitt besser ab. Sobald ich mich
zum einen mehr hingezogen fühlte, wurde mir der andere unerträglich fern.
Später wiederholte sich dies mit Männern. Davor mit Freundinnen. Auch mit
Betten. Autos, Ländern. Manchmal gerät das Eine aus dem Blick. Das heißt
aber nicht, daß sich das Andere durchgesetzt hätte. Nein, es kommt etwas
Neues hinzu. Die Geliebte des Ehemanns. Der Freund der Geliebten. Die
Schwester zur eigenen Existenz. Ihre Erinnerung zu meiner. Ich hatte das
hellgrüne Chiffontuch unserer Mutter bis zur Unkenntlichkeit um mein Gesicht
gewickelt und sagte ihr, ich sei ein Verbrecher, der gerade ins Haus eingebrochen
war - während sie auf der Toilette saß. Ihre Augen wurden kugelrund.
Sie zitterte vor Angst. Aber wir sprachen miteinander. Ich mit
verstellter Stimme. Dass ich durch den Keller gekommen sei. Dass ich alles
über sie wüßte. Dass ich sie mitnehmen würde in den Wald. Sie fragte,
wo ihre Schwester sei. Ich sagte: Zur Nachbarin gegangen. Sie rannte zum
Fenster. Ich ging ins Badezimmer und verwandelte mich zurück. Ich fand sie
in der Speisekammer hinter der Schiebetür - eine völlig aufgelöste kleine
Schwesrer. Ich tröstete sie, während sie mir das Aussehen des Einbrechers
schilderte. Auch stellte ich mich gerne tot. So überzeugend - bis sie weinte.
Nur durch Wachküssen konnte sie mich wieder zum Leben erwecken. Das
war die Rache für all jene Fotos mit ihr, auf denen mein Kopf abgeschnitten
war.
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