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46 "Körpertexte" vereinigt Regina Rays etwa zeitgleich mit der
Verleihung des "Poetensitzes" durch die PASSAGEN erschienener Textband. Ganz
und gar nicht so sachlichnüchtern, wie dies die Überschrirten
vermuten liessen (Text aus dem mittleren Rücken, Text aus dem linken
Ellbogen, etc.), verfahren diese Texte, die zwischen strenger lyrischer Form
und rhythmisierter Prosa zu changieren wissen. Assoziationsreicher, weil
abgegriffene Wendungen ironisch einsetzend, wirken die wenigen Titel, die die
scheinbar langweilige Benennungskette der Texte durchbrechen, z.B.
"Lippenbekenntnis", "Brust-Ton", "Von der Höhe des Venushügels",
"Von der Stirn gelesen". Im Nachwort spricht Regina Ray davon, sie lese mit
diesen kunstvoll arrangierten Texten die "Körperoberfläche als
Generalstabskarte einer sehr viel komplexeren Wirklichkeit durchaus auch mit
weissen Flecken". Regina Ray lässt dem Leser in und mit diesen Texten
Raum genug, die topografischen Sensationen ebenso intensiv zu verfolgen wie
die Erkundung weisser Flächen selbsttätig zu betreiben; am Ende des
"Textes der rechten Wade" heisst es dazu:
"Nimm alles wörtlich, was sich dir zeigt. Halte es fest
und dann lasse es los. Die grossen Abstände zwischen den Fragen tun
wohl". Regina Ray entfaltet den sinnlichen Reiz der Sprache und des
Entdeckens dieser Reize mit einer frappierenden Sicherheit. "Die Hitze steht
im Zimmer. Auch das Haus hat sie aufgesaugt. Vollgesaugt jeder Stein am
Boden. Die Farbe blättert von der Wand. Du berührst mich. Das Wo
ist überall. Nur nicht so schnell aufgeben. Weiter. Weiter. Herzschlag
beruhigt sich. Fliegen ist schön. Der Zeitlauf macht Pause.
Abdrücke im Lehm." Man legt dieses Bändchen nicht so schnell aus
der Hand, weil man sich immer mehr von der Poesie einfangen lässt und
festliest. unverzichtbarer Teil sind - wie Regina Ray im Gespräch
ausdrücklich versicherte - die Illustrationen, die Saskia Niehaus zu
diesem Band beisteuert. Sie sind von einer ähnlichen Konkretheit, die
den offenen Raum fordert, darin vergleichbar Regina Rays Gedichten - denn so
möchte man gerne alle Körpertexte klassifizieren. Die
Text-Bild-Symbiose erzeugt eine Atmosphäre der Medition,
Niederschlag der auch sonst spürbaren Verbundenheit der Autorin mit den
Kulturen des indischen Subkontinents. Wir können diese
"Selbstentdeckungsreise" (Czechowski im Vorwort) nur
empfehlen.
-Klaus Weigel
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